Thomas über Trüb

Wie gibt man ein interessantes Leben und eine lange Laufbahn wieder? Man erinnert sich und erzählt sie einem Schreiber. Ich hab es getan – Meilensteine (und Steinchen), die meinen Weg säumen.

Index

Ende

1950

er

Anfang

1960

er Jahre

A Star is Born, ältestes bekanntes Foto von Thomas (mit seiner Mutter).

Bild: Privat

Erster Fussabdruck: 27.8.1952

Am Anfang waren die – leicht verwirrten – Worte des Vaters Trüb:

«In den ersten Minuten seines Lebens war er violettblau und schrie jämmerlich; er hatte schwarze haare bis über die ohren und lange, lange fingernägel. Statt hübsch eingerollt, waren die ohrenränder leider flach. Sein gesicht war nicht überaus schön zu nennen, sondern glich im gegenteil einem dgmlseklmmiKehschmgcktendemiOnketi. Dicke Hängebacken und verschwollene Äuglein vervollständigten das Bild. Doch ward er von Tag zu Tag schöner…»

Tommy the Kid

Ich bewies verhältnismässig früh einen bestimmten Geschäftssinn und war auch fleissig. Mein erstes Geld verdiente ich als Schuhputzer in der Familie, dafür war ich mir nicht zu gut. Einen Teil meiner Kindheit verbrachte ich in Chur, wo mein Vater arbeitete und ich als Schneeschaufler Erfolg hatte – ich befreite Eingänge und Zufahrten unserer Nachbarn, und bis im nächsten Frühjahr hatte ich genug zusammengespart, um mir eines der damals sehr angesagten Halbrenner-Velos kaufen zu können.

Schlaf des Gerechten, nicht Ladendiebs.

Bild: Privat

Tommy the Kid (2. Teil)

Ein Schul- und Kindergartenfreund und ich waren im Quartierladen am Chrömle. Und dabei so vertieft, dass wir nicht mitbekamen, als der Betreiber das Geschäft für den Tag verliess und abschloss. Als wir’s merkten, schwankten wir zwischen Angst und der Vorfreude auf uneingeschränkten Zugriff auf Süssigkeiten. Bis ich einen Plan entwickelte: «Wir brechen aus», teilte ich meinem Freund mit. «Und damit wir nicht bestraft werden, dürfen wir nichts anfassen, von aufessen gar nicht zu reden.» Er war einverstanden. Wir schlugen eine Glastür ein und befreiten uns.

Nach dem Abendessen klingelte es an unserer Haustüre – es waren zwei Polizisten, ein Nachbar hatte unseren Ladenausbruch beobachtet. Meine Eltern hatte ich sicherheitshalber noch nicht informiert. Doch es sprach für meinen Freund und mich, dass wir im Laden nichts gegessen oder gestohlen hatten. Unsere Befreiungsaktion war nachvollziehbar somit. Und blieb folgenlos.

Astrologisch

Ich bin Jungfrau, Aszendent Löwe – deshalb glaube ich nicht an Sternzeichen.

Ich, der Schulabbrecher

Schon als Gymnasiast war ich eher unangepasst, lehnte Autoritäten ab et cetera. Der Rektor drohte mir wegen meines Verhaltens mehrmals mit dem Ausschluss aus der Schule. Bis ich eines Tages um eine Verabredung bat – um ihm mitzuteilen, ich würde nun aus freien Stücken die Schule verlassen. Worauf der Mann überraschenderweise sagte, wir hätten uns ja nun irgendwie gefunden und ich solle doch das Gymi abschliessen, mit Matur stehe man eindeutig besser da im Berufsleben als ohne. Doch mein Entscheid war gefällt, ich brach die Schule ab. Und begann eine Lehre als Verlagsbuchhändler – dabei lernte man das Verlagsgeschäft, während Buchhändler-Lehrlinge sich mehr mit den Buchinhalten beschäftigten. Und damit war dann wohl der Grundstein gelegt für meine spätere Laufbahn als der, der sich zur Hauptsache um das Business des Verlegens oder, lyrischer, «kreieren» kümmerte.

zirka

1968

Hinter Gittern

Meine Laufbahn hätte mich auch ins Gefängnis bringen können – der Berufsberater, den ich in Begleitung meiner Eltern aufsuchte, sah mich, kein Witz, als Gefängnisleiter. Die Voraussetzungen dafür waren, neben sogenannten people skills, Geschick im Umgang mit Menschen, eine abgeschlossene Lehre und danach eine psychologische Weiterbildung, zum Beispiel am C.G. Jung-Institut in Küsnacht. Hätte mein Nichtplan A im Mediengeschäft weniger gut funktioniert, wäre das vielleicht ein brauchbarer Plan B gewesen.

zirka

1969

Ungleiche Brüder

Ich hatte einen grossen Bruder, Martin, zweieinhalb Jahre älter als ich. Als wir Teenager waren, hörten wir abends heimlich Piratenradiosender. Martin war Beatles-Fan, ich mochte die Rolling Stones lieber, natürlich. Nicht bloss ihre Musik – Mick Jagger war auch ein Schulabbrecher, das fand ich cool. Mein grosser Bruder war der Vernünftige von uns beiden. Er ist leider mit 60 verstorben, Herzversagen, beim Sport, obwohl er kerngesund war.

Welcher ist der Rolling Stones-Fan? Schon klar, der rechts.

Bild: Privat

Pilzköpfe oder rollende Steine – wer Thomas kennt, kennt die Antwort.

Bilder: Wikimedia Commons

Sie wissen schon, «ein kleiner Schritt für Buzz Aldrin» – und für Thomas Trüb?

Bild: Wikimedia Commons

Food for thought

Ein Teil meiner Sozialisierung fand im Fritschi in Luzern statt. Die Beiz war in einem Altstadthaus auf zwei Stockwerken untergebracht. Oben trafen sich die Gescheiten, unten verkehrten die Harten, ab fünf Uhr morgens bis spätabends, dann wurde auch im Parterre politisiert. Ich verstand mich als Revoluzzer und spielte Karten, um meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Als talentierter Schachspieler – ich hatte als Schüler einmal ein Remis geholt in einer Simultan-Partie gegen einen früheren Weltmeister – hatte ich dafür beste Voraussetzungen. Und ich war natürlich im Parterre anzutreffen.

zirka

1970

1971 - 1973

Viva la revolución!

Im Fritschi freundete ich mich mit Othmar «Otti» Frey, dem Anführer und Vordenker der progressiven Luzerner Jugend, an 1971 bereisten er und ich die damalige Sowjetunion mit unserem «rollenden Hotel», einem Reisebus mit Schlafanhänger. Und im darauffolgenden Jahr flogen wir zusammen ins revolutionäre Musterland Kuba – am 31. August 1973 im Transit im Flughafen von Prag lernte ich ein Mitglied der sozialistischen Internationalen mit Namen Marie-Françoise kennen. Ich habe das Mädchen aus Korsika nie mehr vergessen, dieses Jahr ist das fünfzig Jahre her.

Der lider, Fidel Castro (irgendwo im Bild vielleicht), spricht. Und spricht. Und spricht… (Havanna, 1973).

Bild: User:Bin im Garten / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0

Wer hat hier die Hosen an? Thomas und Marie-Françoise, frühe 1970er Jahre

Bild: Privat

Ein Reporter lernt fliegen

Als verheirateter Mann sollte man nicht vom Schach- oder Kartenspiel um Geld leben. Fand jedenfalls meine damals frisch Angetraute, die sich in der Schweiz aus Gründen der Komplexitätsminimierung Muriel statt Marie-Françoise nannte. Also bemühte ich mich um einen der gefragten Plätze in der Ringier-Verlags-eigenen Journalistenschule («Jouschu»; es war der erste Jahrgang, und die class of 1974 wurde unter anderem von Michael Ringier, heute Präsident des Verwaltungsrats besucht). Meine Aufnahme könnte damit zu tun gehabt haben, dass ich in der Bewerbung, heute «Motivationsschreiben» genannt, ein wenig übertrieben hatte – bei «liebste Freizeitbeschäftigung» gab ich «Lesen des NZZ-Wirtschaftsbunds» an, den ich zuvor noch nie aufgeschlagen hatte. Ich darf aber sagen, dass ich auf der Redaktion furchtlos unterwegs war und schon bald als Macher erkannte wurde. Immerhin holte ich an meinem ersten Arbeitstag ein Zitat des damaligen Notenbankpräsidenten zu einer Zinserhöhung ein; nachdem ich investigativ recherchiert hatte, wo er Kaffee trinken ging, überrumpelte ich ihn dort und bekam mein Quote.

zirka

1974

1975 - 1977

Glanzlichter eines Frühreifen

Ich hatte eine super Zeit bei der damals wohl auf (oder nahe am) Höhepunkt stehenden Boulevardzeitung: Fridolin Luchsinger, der Chefredaktor, war ein grosser Lehrmeister und Könner seines Fachs. Durch seine Schule zu gehen, hiess, den sprachlich knappen, aber klaren Ausdruck zu lernen. Von den zahlreichen guten Geschichten, die ich schreiben durfte, sind mir einige in Erinnerung geblieben:

Chiasso-Skandal der Schweizerischen Kredianstalt SKA; ein gefundenes Fressen beziehungsweise eine Traum-Wirtschaftsstory für eine Zeitung, die am Kiosk verkaufen musste.

Der (vorläufige) Aufstieg des Werner K. Reys, eines der ersten corporate raiders, Firmenjongleure, der Schweiz.

Verhältnismässig früh schon coverte ich vielleicht die verrückteste Geschichte meiner Laufbahn – besonders weil ich nicht bloss Beschreiber der Vorgänge war, sondern auch Gestalter. Ich hatte eine Doppelrolle inne, wie sie heute, mit Compliance und anderen Corporate-Governance-Auflagen, wohl kaum ein Journalist mehr einnehmen könnte. Es ging um 170 in der libyschen Wüste festsitzende Bauarbeiter eines Churer Unternehmers, der sich in finanziellen (und anderen) Schwierigkeiten befand. Weshalb seine Leute dort auf einer Baustelle ausharren mussten, ohne Brot, Wasser, Lohn und Pässe. Ich hatte den Hilferuf des Vorarbeiters – eingegangen über eine Telexnachricht der Schweizer Botschaft – während des Sonntagsdiensts empfangen. Worauf ich einen einsamen Entscheid fällte und sofort hinreiste. Alleine im mir unbekannten Land, nachdem der Fotograf am ersten Tag abgesprungen war, wurde ich zum Verhandlungsführer zwischen den libyschen Auftraggebern, die auf Erfüllung bestanden, und den verzweifelten, alleingelassenen Arbeitern. Zwecks sofortiger Mittelbeschaffung kaufte ich für umgerechnet 1500 Franken, die ich zusammengekratzt hatte, Alkohol – mit einem pfiffigen Bauarbeiter streckten wir den Schnaps und nahmen durch den Verkauf an lokale Kunden 10000 Franken ein, so konnten wir die Arbeiter notdürftig mit Lebensmitteln versorgen. Die Mitarbeiter der Schweizer Botschaft hielten sich vornehm zurück in dieser Angelegenheit, sie wollten die guten Beziehungen zur libyschen Führung nicht gefährden, so die offizielle Erklärung. Immerhin warnte mich der Botschafter, dass die örtlichen Behörden nach mir suchen würden. Dies nachdem ein gross aufgemachter Artikel im Blick unter meinem Namen erschienen war, obwohl vereinbart gewesen war, die Story werde unter einem Pseudonym gebracht zu meinem Schutz. Da ich nicht mit einem offiziellen Journalistenvisum eingereist war, musste ich schleunigst das Land verlassen. Was gerade noch gelang. Und auch die Arbeiter konnten schliesslich, nach zwei Wochen (und mehreren Blick-Seite-1-Geschichten), repatriiert werden.

Und schliesslich, mehr Premiere als Primeur: Die erste Kulturstory, die je im Blick erschien, meine Weihnachtsgeschichte über den grossen, aber schwierigen Schweizer Schriftsteller Robert Walser, anlässlich des Jahrestags seines Tods am 25. Dezember in einer psychiatrischen Klinik (oder «Irrenanstalt», wie das damals hiess).

Meine erste Bilanz

Die damals neue Zeitschrift war der richtige Ort für mich, weil darin über Menschen, ach was: Egos, aus der Wirtschaft geschrieben wurde, nicht bloss über Zahlen. Es gebe drei private Firmen, die noch kein Reporter geknackt habe, sagte Andreas Z’Graggen, der Chefredaktor: André, ein Handelshaus, Firmenich (Aromen, Duftstoffe) und Maus Frères, die unsichtbaren Brüder hinter Manor und Lacoste. Wer es schaffe, einen investigativen Artikel über eines dieser Unternehmen abzuliefern, bekomme eine Kiste Champagner. Ich nahm die Herausforderung an, natürlich. Und lieferte in der Folge die drei «unmöglichen» Geschichten ab. Santé!

1977

1980

Thomas wer?

Ein Ringier-Journalist mit Namen Frank A. Meyer sowie Ausstrahlung und Selbstbewusstsein rief mich an – um mich zum Blick zurückzuholen. Was für eine Stelle er denn ganz genau im Kopf habe für mich, wollte ich wissen. Nun, das sei die Sache, sagte FAM, zurzeit sei grade nichts Passendes frei, drum würde man mich in den Talentpool werfen, vorübergehend bloss, doch ich solle das als Sprungbrett sehen. Worauf ich mich bei ihm bedankte. Und erwiderte: «Ich komme sofort, aber nur für meinen Traumjob – als Blick-Chef.» Ich war 28, und leider sollte es nie sein.

Letzte Ausfahrt Luzern

Wenige Monate nach FAMs Abwerbeversuch (sehen Sie weiter oben – Thomas wer?) «passierte Luzern», wie man in der Branche sagte: Jürg Tobler, der Chef der Luzerner Neusten Nachrichten, wurde entlassen und Christian Müller, der Verlagsleiter, als sein Nachfolger eingesetzt. Worauf 31 Mitglieder der Redaktion kündigten. Und ich ein Angebot bekam vom Ringier-Verlag, der die Zeitung herausbrachte, nicht als Blick-Chef zwar, aber immerhin als Blattmacher der LNN. Ich konnte nicht ablehnen, Luzern ist meine Stadt schliesslich.

Der Blattmacher ist für die Mischung in der Zeitung verantwortlich, was wie gross und wo gebracht wird et cetera. Doch ich liess es mir nicht nehmen, manchmal selbst Geschichten zu recherchieren und zu schreiben. Ich fuhr zum Beispiel an die Fussball-WM 1982 in Spanien, nachdem ich eine Wette gegen den LNN-Sportchef gewonnen hatte (ich hatte richtig vorausgesagt, Italien käme ins Finale). Nach dem Spiel in Madrid, das die italienische Nationalelf mit 1:3 gegen Deutschland gewonnen hatte, zogen meine akkreditierten Kollegen an die Pressekonferenz, sodass ich bald der einzige verbliebene Journalist auf der Tribüne des Estadio Santiago Bernabéu war. Plötzlich sah ich, wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt mit seinem Gefolge durch die Ränge Richtung Ausgang schritt. Ich rief: «Herr Bundeskanzler, Herr Bundeskanzler…», doch er schien mich zu ignorieren. Worauf Regierungssprecher Klaus Bölling zu mir sagte: «Lauter, er hört schlecht.» Ich schrie nach Helmut Schmidt. Worauf er mich wahrnahm – und mir ein ungeplantes Interview gab. Mit einem Kollegen der ARD, glaube ich, hatte er ebenfalls gesprochen, davon abgesehen hatten die Luzerner Neusten Nachrichten den höchsten Deutschen weltexklusiv zur Niederlage Deutschlands befragen dürfen.

«1982 war Paolo Rossi ein Spieler der italienischen Nationalmannschaft», kann man über den Weltmeister auch schreiben. Und «Thomas Trüb war damals ein freier Mitarbeiter des Zürcher Ringier-Verlags.»

Bild: Wikimedia Commons

1982

Live fast die young (fast, aber nicht ganz)

Marie-Françoise und ich machten eine grosse Reise durch Mexiko, mit Bus und Zug, assen in einem Restaurant in Puerto Angel, als es dort zu einer Schiesserei kam. Doch richtig gefährlich wurde es beim Baden: Es war mir gar nicht aufgefallen, dass nur Einheimische ins Meer gingen an diesem Vormittag, Touristen blieben im Hotelpool. Der wipeout, die Riesenwelle, die mich verschluckte, hatte mich völlig überrascht. Was folgte, war eine Nahtoderfahrung, genau wie von Elisabeth Kübler-Ross, der Sterbeforscherin, beschrieben. Ich habe das Licht gesehen am Ende des Tunnels und die Endorphinausschüttung, die einem die Angst vor dem Unbekannten nimmt, erlebt. Es war friedlich und schön. Seither ist der Tod für mich positiv besetzt. Dennoch bin ich den mexikanischen Fischern, die mich bewusstlos aus dem Wasser zogen und vor dem Ertrinken retteten, dankbar.

1983

Sport ist Mord, oder?

Ich wollte am ersten Zürcher Triathlon über die olympische Distanz teilnehmen (ein Drittel der Strecke des klassischen Triathlons). Doch der Veranstalter überredete mich, auf die Zwei-Drittel-Distanz upzugraden. Ich nahm die Herausforderung an. Trotz bescheidener Wettkampfvorbereitung – das war eine Untertreibung – war ich der beste finisher aus der Zentralschweiz.

Velorennen Mailand–San Remo – vielleicht die anstrengendsten elf Stunden meines Lebens.

Das Beste zum Schluss: der New York-Marathon. Die Qualifikation hatte ich geschafft, alles war gut. Doch dann durfte ich nicht teilnehmen, der Arzt hatte es mir verboten, wegen meiner Kniebeschwerden. Das hat mich getroffen, stark getroffen. Und, über die Bande gespielt sozusagen, auch Michael Ringier – er musste dann nämlich alleine starten, nachdem ich ihn zur Teilnahme überredet hatte. Er war stinksauer auf mich, aber bloss für eine kurze Zeit.

Mein 1984

Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören, sagt man. Also verliess ich die LNN, um mich selbständig zu machen. Doch was braucht es für eine erfolgreiche Unternehmerlaufbahn? Verschiedenes, darunter Ideen, Durchhaltewillen, Umsetzungsstärke und Kunden. Ideen hatte ich. Kunden ebenfalls. Das heisst, ich hatte einen Kunden, einen deutschen Verlag, der etwas in der Schweiz machen wollte. Was genau? Ich weiss es nicht. Oder nicht mehr. Also hatte ich eher einen halben Kunden. Bis Bruno Gabriel kam. Der Luzerner Unternehmer und Software- sowie Venture Capital-Pionier gab mir den Auftrag, ein Kundenmagazin zu entwickeln. Und wie es sich für einen Jungunternehmer gehörte, zahlte er dafür nicht mit Geld, sondern mit Eigenkapital seiner Firma Also, einem IT-Start-up. Wir hatten einen Entwurf für eine Zeitschrift erarbeitet, geliefert und bald wieder vergessen. Bis ich Monate später erfuhr, nachdem Bruno einen Teil der Also-Aktien an die Börse gebracht hatte, meine Beteiligung sei nun etwas wert, einige hunderttausend Franken nämlich. Wichtiger als der Betrag aber war die Erkenntnis, dass man mit Rechnungen stellen, Geld verdienen kann. Wohingegen equity, Eigenkapital, einen möglicherweise reich macht. Heute würde ich das als Game changer beschreiben – denn von da an wurde Wagniskapital mein Geschäftsmodell.

Wer zählt, wer bleibt

Prägende Menschen in meinem Leben bis hierher (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Meine Eltern: Sie habe meinem Bruder und mir beigebracht, dass Familienglück wichtiger als materieller Wohlstand ist.

Mein Bruder Martin: Weil er Beatles-Fan war, wurde ich Rolling Stones-Fan. Wäre es umgekehrt gewesen, würde ich heute von meiner Rente als ehemaliger Bundesangestellter zehren.

Michael Ringier: Ohne ihn wäre alles nichts geworden.

Uli Sigg: Vom blitzgescheiten Uli habe ich viel gelernt. Eine Lebensweisheit hat sich mir besonders eingeprägt – lerne, die richtigen Fragen zu stellen.

Ueli Flörchinger: Jahre lang mein Alter Ego beim Aufbau all meiner Projekte irgendwo auf der Welt. Er beherrscht alle Disziplinen (Finanzen, Administration, Recht und einiges mehr), die mir auch heute noch fremd sind.

Othmar «Otti» Frey, der damalige Chefideologe der Jungen Linken Luzern. Ohne ihn kein Kuba und ohne Kuba keine Marie-Françoise. Dank ihm habe ich auch die Kunst der Dialektik gelernt – sie hat mir bei vielen Gesprächen und Verhandlungen geholfen.

Marie-Françoise, meine Frau: Sie hat mir den korsischen Familiensinn eingeimpft (siehe auch «Unsere Eltern»). Ihr schauspielerisches Talent sorgt dafür, dass sie jeden Tag von Neuem gut ist für eine Überraschung.

Dariu, mein Sohn, geboren 1987 (ich war 35): Er hat mir beigebracht, dass wir die Welt nicht durch unsere eurozentrischen Augen betrachten dürfen. Und er lebt heute das Leben, von dem ich in jungen Jahren immer geträumt habe: Aternativ, umweltbewusst, selbstbestimmt. Und immer nur das tun, was Spass macht. Man könnte manchmal etwas neidisch werden.

ab

1988

Retour zu Ringier, aber nicht als Angestellter

Wie war das nochmal mit mir und Ringier? Ich würde kommen, aber nur als Blick-Chef, hatte ich Frank A. Meyer vor über zehn Jahren entgegnet. Das passierte dann nicht. Aber immerhin war ich eine Zeitlang mitverantwortlich gewesen für die Luzerner Neuste Nachrichten, die ich ein wenig so machte, wie man eine Boulevard-Zeitung macht, obwohl es ein abonniertes Blatt war. Nun dachte man im Verlag über line extensions, Verlängerungen erfolgreicher Marken, nach, einen Wirtschafts-Blick zum Beispiel. Das wäre doch was für mich, fanden Michael Ringier und andere führende Köpfe des Hauses. Ich fand das Angebot verlockend, hatte aber eine andere Idee: einen Blick über die Wirtschaft. 1989 erschien Cash zum ersten Mal. Mein Kürzel im Haus Ringier, nebenbei, war nicht TT, sondern «tut». Auch gut.

Kurz vor dem Fall der Mauer, Berlin im Herbst 1989. Und kurz vor meinem Aufbruch in die andere Richtung – Osteuropa, Vorsicht, der Ringier Verlag und Thomas Trüb kommen.

Bild: Raphaël Thiémard / CC-BY-SA-2.0

Money, money

Ich wollte nicht wieder Angestellter sein, sagte ich, bevor ich wieder für den Ringier-Verlag arbeitete. Denn lustig ist das Selbständigen-Leben (und einträglich). Michael Ringier sollte es recht sein, er war einverstanden damit, dass ich im Auftragsverhältnis für ihn arbeitete. Und oft auch (kleinere) Beteiligungen einging, um zu zeigen, dass ich wirklich an meine Geschäftsideen glaubte.

Cash, die von mir erfundene und entwickelte Populär-Wirtschaftswochenzeitung, übrigens, verdiente in den zwanzig oder so Jahren ihres Lebens mehr Geld als jeder andere Printmedientitel der Schweiz (bis zum Erscheinen der Gratiszeitung 20 Minuten); vor allem auch wegen der später in frisch liberalisierten Ländern Osteuropas herausgegebenen Cash-Klone (die Schweizer Printausgabe wurde 2007 eingestellt; das Online-Angebot cash.ch ist heute die grösste Finanzplattform der Schweiz).

ab

1989

Kürzestes Businessbuch aller Zeiten oder meine berufliche Laufbahn in sieben Worten

Entrepreneur – mit dem Geld des Ringier-Verlags (auch «Intrapreneur» genannt).

Bei soviel Elan kam das Gleichgewichtsgefühl des Fotografen nicht mehr mit, Thomas am Ball für den FC Alternativ-Luzern oder so.

Bild: Privat

Spiel des Lebens

Für mich, ganz klar, Fussball. Meine bevorzugte Position war die des Liberos, ein Verteidiger ohne direkten Gegenspieler, so was wie der Gegenentwurf zu meinem Verhalten im Business also. Ich habe es bis in die Nationalmannschaft gebracht (die Journalisten-Nationalmannschaft, um genau zu sein). Einen Club habe ich auch mitgegründet, den FC Inter Altstadt; wir traten in der Luzerner Alternativen Liga an. Was mich ins Gefängnis brachte, sozusagen: Ein Mannschaftskollege hatte seine Frau getötet, eine schreckliche Geschichte, begangen aus Eifersucht oder, gepflegter ausgedrückt, Leidenschaft. Wir Spieler haben uns solidarisch gezeigt mit allen Opfern: Dem Sohn, der seine Mutter verloren hatte, aber auch mit A., dem Täter, dessen Vormund ich wurde. Wir haben den Buben unterstützt, sind aber auch dem Vater während der Haft beigestanden. Unter anderem haben wir die Gefängnismannschaft, in der er spielen durfte, mitbetreut. Was dazu führte, dass wir von zahlreichen anderen Häftlingsmannschaften eingeladen wurden, gegen sie in Gefängnissen zu spielen.

Davon abgesehen ist es mir gelungen, Günter Netzer zum FC Inter Altstadt zu holen. Der deutsche Grossfussballer war nach seinem Austritt aus dem Zürcher Grasshopper Club GCZ ohne Verpflichtung. Worauf ich ihn getreu meines Mottos «Nichts ist unmöglich» anfragte, ob er nicht gelegentlich für den guten Zweck (und eine Niederlassungsbewilligung des Kantons Nidwalden) bei uns mitspielen würde. Er war einverstanden. Leider kam kein Einsatz von ihm zustande, der Hamburger Sportverein HSV holte ihn als Manager, und in Nidwalden nahm er dann auch nie Wohnsitz.

Cash as cash can

François Mitterrand, Frankreichs Präsident von 1981 bis 1995, sprach von einem «Kapitalismus mit einer menschlichen Seite.» Das kann ich unterschreiben. Und zwar im Sinne von sozialer Marktwirtschaft, aber auch, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Das war die Idee unserer Schweizer Zeitungsneugründung Cash im Jahr 1989. Die personalisierten Wirtschaftsgeschichten kamen bei Leserinnen und Lesern an. Nur ein Jahr später, 1990, brachten wir bereits eine Cash-Variante in Tschechien heraus, sie hiess dort Profit. Das später in der Schweiz lancierte Cash daily, eine Gratis-Tageszeitung sowie ein Finanz- und Wirtschaftsportal im WWW, waren wohl das erste multimediale Zeitungsprojekt der Welt.

ab

1989

1980

er Jahre

Fussball mit Hand und Kopf

Als der FC Luzern, seit meiner Kindheit mein Club, kurz vor dem finanziellen Untergang stand, konnte ich nicht länger abseitsstehen. Stattdessen gelang es mir, einen Deal zwischen der Firma Schild, einer traditionellen Luzerner Kleiderherstellerin, und dem FCL abzuschliessen. Schild kaufte Anzeigen für 300 000 Franken, und der Ringier-Verlag überliess das Geld dem Club. Es hat genützt, wurde sogar etwas Nachhaltiges – den FCL gibt’s noch immer, Schild hat schliesslich, nach wechselhaften Spätjahren und zuletzt einem Verkauf an Globus, 2019 das Ende der Kleiderstange erreicht.

Marseille oder Fussball mit Hand und Kopf (2. Teil)

Zeitungen und Zeitschriften lesen bildet, fand ich schon immer. In den 1980er Jahren stiess ich im Nouvel Observateur auf einen Artikel über Marseille, in dem die zweitgrösste französische Stadt als sehr lebenswerter Ort am Mittelmeer hervorgehoben wurde. Mit zahlbaren Immobilienpreisen zudem. Meine Frau musste ich gar nicht erst davon überzeugen: Die Hafenstadt ist für Korsen, denen es auf der Insel zu eng wird, seit Langem ein naheliegendes Ziel. Also kaufte ich ein Haus dort, Marie-Françoise zog ein, und ich hielt mich ebenfalls dort auf, wenn ich nicht in einem Flugzeug nach Osteuropa oder Asien sass.

Als Fussballfan kannte ich natürlich den Stadtclub Olympique Marseille (OM) und seine bewegte Geschichte. Anfang der 1990er Jahre kam nach einem Hoch der Absturz – auf den Gewinn der Champions League folgte der Zwangsabstieg wegen einer Bestechungsaffäre. Die Not war gross, das Geld knapp. Da ich zu dieser Zeit für das Sportrechte-Joint Venture des deutschen Axel Springer Verlags und von Leo Kirch, dem Filmhändler, tätig war, beauftragte man mich, mit der Clubleitung über einen möglichen Verkauf von OM an die deutschen Partner zu verhandeln. Es sah gut aus, wir hätten  den Verein wohl bekommen. Bloss kam der Deal nicht mehr zustande – weil Kirch kurz vor der Pleite stand. Ich erinnere mich noch immer an seine Worte, als ich ihn anrief und fragte, weshalb der Handel nicht geschlossen werden könne. Er sagte: «Ich lade Sie ein, zu mir nach München in mein Büro zu kommen – Sie werden dort dem höchstverschuldeten Mann Deutschlands gegenüberstehen.»

Mein Haus über der Buch von Ajaccio heisst «U Tempu Persu», auf korsisch «Die verlorene Zeit». Das ist natürlich falsch, es müsste «Gewonnene Zeit» heissen (das Bild zeigt das Gästehaus).

Bild: Alberto Venzago

Château Trub oder, mit bescheideneren Worten, unser Zuhause in Marseille.

Bild: Privat

Zimmer respektive Wohnung mit Aussicht – Blick aus Thomas Schweizer pied-à-terre in Luzern.

Bild: Privat

Mein Leben

Eine Bemerkung zum voraus: Ich habe früh begonnen, Geld anzulegen, weil ich schon immer unabhängig sein wollte. Die Alternative, für einen Hippie eigentlich naheliegender, nämlich auszusteigen, um nach Goa zu fahren und am Strand Joints-rauchend die freie Liebe zu geniessen, habe ich erwogen, aber nach reiflicher Überlegung verworfen. Doch was ich aus ethischen Gründen nie gemacht habe: Liegenschaften als Anlageobjekte betrachtet. Ich hätte dank meines gelegentlichen Informationsvorsprungs (z. Bsp. in Osteuropa) wohl steinreich werden können. Doch darum ging es mir nicht. Ich wollte Journalist werden, nachdem ich erkannt hatte, dass ich in diesem Beruf das machen kann, was ich wollte: Gute Ideen umsetzen sowie spannende Geschichten erzählen. Und damit erst noch genug Geld zu verdienen, um meinen Unabhängigkeitsdrang ausleben zu können. Der Weg, den ich schliesslich einschlug, verlief leicht anders, doch dem Entwurf blieb ich treu. Auch was das Investieren in, und nicht das Spekulieren mit, Häusern betrifft.

Marseille hätte sich auch anders entwickeln können, schlecht nämlich. Im Nachhinein sehen Entscheide, die man gefällt hat, oft klar und geradlinig aus. Doch damals wusste niemand, ob die Hafenstadt die Kurve kriegt, sozusagen – oder untergeht. Kriminalität, Korruption, Ausländer, Arbeitslosigkeit… Es kam dann anders, zum Glück. Und ich bin natürlich nicht der einzige Schweizer Marseille-Fan: Peter Schellenberg und Roger de Weck lieben die Stadt ebenfalls. Weshalb wir den Marseille-Club gründeten. 

Auch mein Entscheid, Anfang der 1990er Jahre auf Korsika ein Grundstück mit Haus zu kaufen, war eine Herzensangelegenheit. In den folgenden Jahren konnte ich die angrenzenden Grundstücke dazukaufen, was man unbedingt tun sollte, falls es irgendwie geht; mittlerweile erstreckt sich mein Land, das sich auf einer Hügelspitze mit Blick auf die Bucht von Ajaccio befindet und das längst mein Zuhause ist, über 40 000 Quadratmeter. Wir haben einen Park, in dem einen hinter jeder Wegkrümmung eine Überraschung erwartet, echt gefälschte Kunstwerke oder ungefährliche Raubkatzen auf den Bäumen zum Beispiel. Weiter gibt es einen Zoo mit zirka vierzig lebenden Tieren, darunter zwei Eseln, die ich «meine Ode an Korsika» nenne, sowie eine frisch renovierte Ferienvilla mit Rooftop-Jacuzzi, die ich vermiete und die von meinem Haus aus nicht zu sehen ist.

U Tempu Persu: Anklicken und eintauchen.

Mein Beuteschema

Es ist bei mir im Privaten gleich wie im Geschäftlichen – die Frau, die andere Partei muss den ersten Schritt machen. So weiss ich, ob Interesse an mir respektive meinem Angebot besteht. Nachdem ich Marie-Françoise am 31. August 1973 auf einer Reise nach Kuba kennenlernte (wo sie auf mich zugekommen war), schickte ich ihr, wieder zu Hause angekommen, einen Blumenstrauss nach Paris. Darauf besuchte sie mich in Luzern. Wir haben dann ziemlich bald geheiratet, was nicht ganz ohne Hintergedanken geschah; sie bekam eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz und ich einen französischen Pass. Aus der Zweckgemeinschaft wurde die Liebesbeziehung meines Lebens – am 31. August 2023 waren es 50 Jahre, dass wir zusammen sind. Das heisst, wenn ich es genau ausdrücken möchte, darf ich eigentlich nicht sagen, ich habe «meine Frau» geheiratet. Sondern ich habe «in eine grosse korsische Familie» eingeheiratet. Für mich stimmt das.

Unsere special sauce, unser Geheimrezept

Marie-Françoise und ich werden oft gefragt, was die Voraussetzungen seien, damit ein Paar fünfzig Jahre zusammenbleibt. Ich kann die Frage nicht allgemeingültig beantworten, bloss für sie und mich. Wir haben drei Leben: Sie lebt ihres, ich lebe meines und wir leben ein gemeinsames. Die Ausnahme, die die Regel bestätigt, ist die Kindererziehung, da sind wir Komplizen, wir liessen uns nie auseinanderbringen, wir haben Entscheide entweder immer gemeinsam gefällt oder jedenfalls unserem Sohn Dariu gegenüber als Konsens dargestellt. Meine Frau und ich sind auch recht gegensätzlich – sie ist eher introvertiert und pessimistisch, zelebriert das, was man in Frankreich l’ennui nennt, eine gewisse Lebensmelancholie. Ich bin extravertiert und fast immer zuversichtlich. Das hat wohl irgendwie auch dazu beigetragen, dass wir uns immer noch bestens vertragen.

Go east, halbjunger Mann

Es war zwar meine Ambition, die frisch eröffneten Märkte Osteuropas zu erobern. Doch am Anfang stand, wie so oft, ein glücklicher Zufall, in diesem Fall ein tschechischer Physiotherapeut, der mir von den geschäftlichen Möglichkeiten in seiner Heimat vorschwärmte. Dort lernte ich einen jungen Wirtschaftsjournalisten kennen: Michal Voracek. Das war ein Volltreffer, das merkte ich auf unserem Streifzug durch die schönsten Bierkeller Prags. Michal war unser Mann, und so reiste ich bei nächster Gelegenheit mit 50’000 Schweizer Franken im Gepäck nach Prag. So entstand unsere erste Cash-Adaption, die wir sinnigerweise „Profit“ nannten. An Kompetenz fehlte es uns nicht, und die Rahmenbedingungen waren liberal. Doch die Mikroausgangslage war eine andere: Gute Mitarbeiter zu finden, war herausfordernd. Die Qualität der Druckereien entsprach nicht unseren Standards, und grundsätzlich ist das Anzeigengeschäft eine lokale Angelegenheit, die uns Mühe bereitete. Nichtsdestotrotz wussten wir unseren early mover-Bonus zu nutzen. Wir brachten als nächstes in Tschechien die Boulevard-Tageszeitung Blesk – das Konzept fusste auf dem Blick – heraus. Die Beilage der Sonntagsausgabe war so beliebt bei Geschäftskunden, dass wir die Anzeigenpreise verdreifachen konnten und die Nachfrage nach Reklameplätzen immer noch unser Seitenangebot überstieg. Das ist heute fast unvorstellbar.

ab

1990

Ich, die Festhütte

Bin ich eigentlich gar nicht, es ist einfach so gekommen. Denn wenn man in Korsika eine Feier plant, wird man zwingend das ganze Dorf einladen, man kann das ungefähr mit den Hochzeitsgebräuchen in Indien vergleichen. Wer also bin ich, den Cousin des Cousin des Cousins (und seine Cousinen) nicht ebenfalls willkommen zu heissen? Kommt dazu: Er hat meine Familie und mich seinerzeit auch begrüsst, als es bei ihm was zu feiern gab. Und darum haben wir zur Taufe unseres Sohns Dariu im Jahr 1987 über 300 Gäste eingeladen. Zu meinem 40. Geburtstag waren es 450, mein Rekord bisher. Zum 60. waren es weniger Leute, dafür mehr Partys an vier verschiedenen Orten: in Luzern, Asien, Afrika und, natürlich, auf Korsika.

Mein Sohn Dariu oder Vom Start-Up-Mann zum Therapeuten und Lebenskünstler

Liebe ist, loszulassen. Also einem Kind alles mitzugeben, damit es unabhängig wird und einen verlassen kann.

Ich nehme an, dass es nicht immer nur einfach war, der Sohn eines Vaters zu sein, dem mehr gelang als misslang, den viele Leute gut leiden können und von dem die Mehrheit eine ziemlich hohe Meinung hat. Darum habe ich mich vor Dariu immer wieder lächerlich gemacht. Damit er sah, dass ich mich selbst nicht so ernst nehme.

Mein Sohn hat an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London studiert. An dieser Hochschule wird nicht unsere übliche westliche Sicht gelehrt, sondern die afrikanischer und orientalischer Kulturen. Und es wird besonderen Wert auf Entwicklungsstudien gelegt. Dariu hat deshalb gelernt, dass man die Welt auch mit anderen Augen als unseren sehen kann. Diese Erkenntnis hat er mir weitergegeben – und ich habe ebenfalls davon profitiert.

Er startete nach seinen Studien fulminant ins Geschäftsleben mit Start Ups in Afrika und gemeinnützigen Unternehmen in Asien. Dann fand er, wohl mit gütiger Mithilfe seiner damaligen Freundin, dass dieses Leben, das verdächtig meinem glich, nicht wirklich seine Sache war. Also stieg er aus und um – er liess sich zum Hypnose-Therapeuten ausbilden. Und geniesst nun mit seiner neuen Freundin ein alternatives, umweltbewusstes Leben auf Korsika, mit kleinen Ausreissern, Reisen, rund um die Welt.

Mein Sohn und Geschäftspartner, Dariu. Er überredete mich damals mit ihm nach Afrika zu kommen – das war der Startschuss zu Ringier Afrika.

Bild: Alberto Venzago

zirka

1990

Kluge Köpfe, gierige Hände

Wir gründeten nicht bloss neue Zeitungen und Zeitschriften in Osteuropa, wir kauften auch örtliche Gewächse, die uns vielversprechend schienen. So etwa das tschechische Kulturmagazin Reflex. Die Ausstrahlung des klugen Blatts machte Freude. Bis wir herausfanden, dass die intellektuellen Chefredaktoren und Mitbesitzer ihre Anteile zweimal verkauft hatten: einmal einer lokalen Grösse, dessen Ruf nicht der beste war, und einmal dem Ringier-Verlag. Es war dann meine Aufgabe, dem Käufer seine Anteile abzuringen. Was erst gelang, nachdem ich herausgefunden hatte, dass seine Tochter in der Schweiz im Internat war und die Familie Wert auf einen guten Ruf in unserem Land legte. Das heisst, etwas Druck von meiner Seite war zusätzlich nötig, damit um vier Uhr am Morgen schliesslich ein Deal zustande kam.

Meine Erkenntnis aus den vergangenen fünfzig Jahren: «Irrationalität regiert die Welt.»

Mein Geld

Geld verschafft einem Unabhängigkeit. Da ich schon immer den Drang zu Freiheit und Selbstbestimmung verspürte, war mir klar, dass ich besser mehr als weniger Geld verdienen sollte. Vor allem, wenn das mit einem Geschäftsmodell wie dem des Journalismus geht – was gibt es schöneres, als interessante Ideen zu entwickeln und diese dann umzusetzen beziehungsweise spannende Geschichten zu recherchieren und zu schreiben? Das heisst, alternativ, als Aussteiger leben, das wäre wohl auch gegangen. Geld an sich motiviert oder interessiert mich nicht besonders. Ich kenne mich nicht sehr gut aus in Finanzanlagen, ich fand solche im Grunde nie spannend genug; ich lasse mein Vermögen von einem Verwalter bewirtschaften. Und ich bin keiner, der stets genau Bescheid weiss über die Entwicklung seiner Assets, was ich aber gelernt habe, die Kürzest-Einsicht, was die jeweilige Perfomance betrifft: Wenn mich der Verwalter zum Jahresende in die Kronenhalle einlädt, entwickelte sich mein Vermögen schlecht, bei gestiegenen Kursen zahlt er mir nämlich nur eine Bratwurst vom Sternen Grill. Herzblut vergossen habe ich dagegen für Beteiligungen an Start-up-Firmen. Mit einigen Investments bin ich gut gelegen, sie haben stark an Wert zugelegt, bei anderen haben ich danebengehauen. Ich habe als Seed-Investor in eines der wenigen französischen Unicorn investiert. An Start-Ups fasziniert mich vor allem, wie die Gründer, die in der Regel jung sind, die Welt sehen, ich will ihre Ideen kennenlernen, deshalb lade ich ab und zu ein paar Leute aus frischen Firmen zu mir nach Hause ein.

Ich kann bis heute nicht sagen, ob eine Start-Up-Geschäftsidee grossen Erfolg bringen oder abstürzen wird. Das heisst, ich denke, ich kann mit recht hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen, was nicht funktionieren dürfte. Von meiner Risikobereitschaft her bin ich klar der Start-up-Anlegertyp: Ich finde es verlockend, hohe Risiken einzugehen. Die Möglichkeit, bei einer Wette vielleicht den ganzen Einsatz zu verlieren, hat doch auch ihren Reiz.

Die eindrücklichste Begegnung meines Lebens

«Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm…»

An diesen Kinderreim erinnerte mich Ly Van Sau, als ich ihn Anfang der 1970er Jahre zum ersten Mal an einem Meeting in Hanoi traf. Und es sollten viele weitere Meetings folgen mit unseren vietnamesischen Partnern, um eine Wirtschaftszeitung à la Cash zu lancieren. Und Mr. Sau, dieses unscheinbare kleine Männlein, sicher schon einiges über 70 Jahre alt, sass immer da und hat nie ein Wort gesprochen.


Eines Tages habe ich ihn nach einer Sitzung gefragt, was denn seine Funktion sei und er hat mir erklärt, dass er im Auftrag der kommunistischen Partei dafür sorge, dass sich keine inhaltlichen Fehler in das Blatt schleichen.


Dann gingen wir Tee trinken und er hat mir seine Geschichte erzählt.



Er war ein enger Weggefährte von Ho Chi Minh gewesen und bereits während des französischen Indochina-Krieges als Journalist beauftragt, einen Guerilla-Radiosender zu betreiben. Zu seiner Ausrüstung zählten zwei Elefanten, welche das zum Senden nötige Equipment jede Nacht durch den Dschungel schleppten, um nicht geortet werden zu können und damit die Journalisten tagsüber ihre Sendungen verbreiten konnten.



1968 wurde er zu Beginn der Pariser Friedensverhandlungen zum Sprecher Nordvietnams ernannt und behielt diese Funktion bis zum Vertragsschluss 1973. In dieser Zeit hat er viele Persönlichkeiten von Henry Kissinger über Fidel Castro, Ajatollah Chomeini bis zu Präsident Georges Pompidou kennengelernt.



In der Folge habe ich ihn und seine Frau nach Frankreich eingeladen, denn sein letzter Wunsch war, seiner Frau Paris zu zeigen. Anschliessend besuchten sie uns auf Korsika, es war Hochsommer und am ersten Morgen stand er vor mir, in einem Anzug und mit Krawatte – um Tino Rossis Grab zu besuchen und ihm die Referenz zu erweisen. Der korsische Sänger und Schauspieler war in den 1960er Jahren ein Weltstar gewesen mit über 300 Millionen verkauften Schallplatten und einem Repertoire von mehr als 1000 Liedern. Mein Freund Sau vergoss Tränen an seinem Grab und rezitierte ein gutes Dutzend seiner Lieder. So habe ich gelernt, dass er ein grosser Fan der französischen Kultur war, der auch die Literatur in- und auswendig kannte. Neben vietnamesisch, russisch und chinesisch sprach er auch perfekt, spanisch, englisch sowie französisch.


An den Abenden bei uns in Korsika erzählte er aus seinem bewegten Leben an der Seite von Ho Chi Minh, seinen Elefanten oder wie er seine Frau im Dschungel kennengelernt hatte, von seinen Begegnungen mit all den bedeutenden Persönlichkeiten und vor allem über seine Liebe zu seinem Land.

Ich werde die Begegnungen mit diesem bescheidenen Mann, der uns mit seiner Ausstrahlung und seiner Geschichte tief beeindruckt hat, nie vergessen.

1995

Von der Bedeutung der Froschschenkel

Ich werde oft nach den Gründen für meine ganz besondere Verbundenheit mit Vietnam gefragt. Ich antworte ausnahmslos: die Politik (Ho, Ho, Ho Chi Minh…), ein Volk, das ich bewundere, die Persönlichkeiten, denen ich begegnet bin… Und die Küche: Bei meinen ersten Reisen nach Hanoi habe ich immer im legendären Restaurant Cha Ca gegessen, das eine Art unwiderstehliches Fischfondue serviert… Und ich könnte noch viele andere Gerichte nennen, da die vietnamesische Küche so reich und vielfältig ist. Meine Achillesferse, wenn ich das so sagen darf, sind jedoch die Froschschenkel, die manchmal so groß wie Hühnerkeulen sind. Mit viel Knoblauch und Bier, kühl, please! Man könnte lange darüber diskutieren, welche Rolle das Essen bei Vertragsverhandlungen spielt, warum man in einem Land Geschäfte macht und in einem anderen nicht… Im Fall von Vietnam sind die Frösche in den Reisfeldern nicht ganz unbeteiligt daran.

Thomas brachte Farbe in die Welt – Magazine, Zeitungen und andere Medien, die er in der Schweiz, in Europa, Asien und Afrika gründete oder mitgründete. Deshalb eine bunte Weltkarte, die zeigt, wohin er mit Ringier ging (hellblau) und wohin das Unternehmen nach ihm expandierte, (dunkelblau).

zirka

2001

bis

2008

So sieht ein Staatsstreich aus: Panzer vor dem Armeehauptquartier, Bangkok, 2006. Es war das Ende unserer geplanten Zusammenarbeit mit dem früheren Regierungschef.

Bild: User:Roger_jg / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-2.5

Knapp daneben ist auch vorbei oder Grandios gescheitert

Im Jahr 2001 arbeitete ich am vielleicht interessantesten Vorhaben meiner Laufbahn: Eine amerikanische Nichtregierungsorganisation gelangte mit der Idee an Michael Ringier, eine Redaktion aus Muslimen und Juden in Ost-Jerusalem aufzubauen. Um eine gemeinsame Zeitung herauszubringen, die von Palästinensern und Israelis genutzt würde. Es war, im Grunde, ein unmögliches Vorhaben. Unter anderem darum, weil kein gemeinsamer Nenner zu erkennen war. Doch genau das forderte mich heraus, «unmöglich? Gibt es nicht», war meine Haltung. Also fand ich einen gemeinsamen Nenner: Den schwarzen Humor, der die Beteiligten auf beiden Seiten auszeichnete. Ich war begeistert von dem Vorhaben und bereit, pro bono, gratis, dafür zu arbeiten. Weil mir klar war, dass ein solches Vorhaben einen echten Beitrag zur Völkerverständigung leisten könnte. Abgesehen davon, dass die Zeitung, wenn sie denn erscheinen könnte, als Newsstory um die Welt gehen würde. Am Anfang kamen wir erstaunlich gut voran, es wurde bereits über Personalien, ein Redaktionskonzept und so weiter geredet. Bis es plötzlich nicht mehr weiterging. Er könne die Sicherheit der Mitarbeiter nicht länger garantieren, sagte der palästinensische Projektleiter zu mir, bevor er den Stecker zog, «wir mussten das Projekt Hamas präsentieren. Diese erklärten uns jegliche Kooperation mit Israelis sei Landesverrat und werde entsprechend geahndet.» Immerhin, wir hätten beinahe (ein bisschen) Weltpolitik gemacht.

*

Ungefähr im Jahr 2006 erreichte mich eine Anfrage aus Thailand, ob die Firma Ringier-Pacific, die ich leitete, zusammen mit einem wichtigen einheimischen Unternehmer eine Boulevardzeitung in Thailand herausbringen möchte. Klar, waren wir interessiert. Von Thaksin Shinawatra, dem thailändischen Unternehmer, haben wir dann aber nie mehr etwas gehört. Verständlich – Polizei- und Militäreinheiten hatten die Regierung des Landes übernommen, als sich Thaksin, der seit 2001 Premierminister des Landes gewesen war, in New York an der UNO-Vollversammlung aufhielt. In der Folge ging er nach London ins Exil, wo er den Plan einer Boulevard-Tageszeitung nicht weiterverfolgte. In der Zwischenzeit konfiszierten seine Nachfolger in Thailand umgerechnet über eine Milliarde Franken aus seinem eingefrorenen Vermögen. Er hat mittlerweile die Staatsbürgerschaft von Montenegro angenommen und hielt sich lange zur Hauptsache in Dubai auf (die Emirate haben kein Auslieferungsabkommen mit Thailand); jüngst aber reiste er retour in sein Heimatland, wo er kurz ins Gefängnis kam und danach in ein Spital, er ist krank.

*

Wenig später kam ich in Kontakt mit Moeletsi Mbeki, Bruder von Tabo Mbeki, dem damaligen Präsidenten Südafrikas. Er hatte von Nelson Mandela den Auftrag bekommen, ein Medienhaus aufzubauen, dessen Zielgruppe die schwarzen Bewohnerinnen und Bewohner des Landes waren. Die Rahmenbedingungen wurden uns als sehr komfortabel beschrieben: «Budgets gibt es keine, alles ist möglich.» Bald wurde das Vorhaben von den Afrikanern dann aber als weniger dringlich beschrieben. Und schliesslich wurde es «vorübergehend» ausgesetzt, «wir machen nach den Wahlen weiter», sagte der Präsidentenbruder. Diese fanden 2008 statt – danach war er zwar noch immer der jüngere Bruder von Tabo, dieser aber nicht länger Präsident des Landes. Und die Idee vom schwarzen Medienhaus ebenfalls Geschichte.

Flops? I’ve had a few

Ringier hatte den Sonntagsblick, Tamedia die Sonntagszeitung und die NZZ damals noch keine Sonntagsausgabe – es gab also Platz fürs Sonntagsblatt, herausgegeben von sechs Regionalzeitungsverlegern und Karl Schweri, dem Denner-Gründer. Die Projektleitung oblag mir. Das Sonntagsblatt, dargeboten in Ständern mit Plastiktaschen, in denen die Zeitungen steckten, und mit einem Kässeli, in das man den Kaufpreis stecken konnte (oder auch nicht), war schon bald wieder vom Markt. Lag’s am redaktionellen Inhalt? Möglich. Wahrscheinlicher aber an den unterschiedlichen Interessen der zu vielen Verleger sowie von Schweri, dem erfolgreichen und selbstbewussten Händler/Patron.

*

Ringier Studios, eine Art frühe, im Verlag entwickelte App (über Prinz William, Kokain oder die Champions League zum Beispiel). Ich habe damit gegen meine eigene Regel verstossen, die ich auf meiner Laufbahn machte: Nicht vom Produkt aus denken, sondern vom Markt aus. Also nicht: «Ah, das ist ein schönes Heft, eine gute Zeitung, ein nettes App, das wird schon gekauft.» Stattdessen: «Das ist eine zahlungskräftige Zielgruppe, und sie interessiert sich für mein Heft, meine Zeitung, meine App.»

*

Die Cash-Ausgabe für Deutschland. Es hätte ein Joint Venture des Axel-Springer- und des Spiegel-Verlags werden sollen. Hätte, sollte – es wäre eine Sensation gewesen, ein Erfolg geworden vielleicht. Doch es scheiterte an den grossen Egos in den grossen Verlagen.

ab

2002

Mission IMPOSSIBLE (Dariu-Stiftung)

Zum Schluss zu meinem grössten Stolz: Meine Stiftung, die seit der Gründung vom Ringier-Verlag grosszügig mit unterstützt wird, und die ich nach meinem Sohn benannt habe. Vielleicht weil ich damit Kinder unterstütze, die ihre Lebensreise mit weniger guten Voraussetzungen antraten. Es handelt sich dabei um Kinder und junge Erwachsene aus ländlichen Gegenden Vietnams und anderen asiatischen Ländern. Die Landbevölkerung ist generell benachteiligt gegenüber den Menschen in den Städten. Mit anderen Worten: Wir finden und fördern Talente, wo sonst niemand sucht und unterstützt. Talente also, die sonst unentdeckt geblieben wären.

Was wir als Erstes lernen mussten: Wenn die Kinder nicht in die Schule kommen können – weil die Schule weit weg ist und die Eltern es nicht erlauben –, muss die Schule zu den Kindern kommen. Also entwickelten wir mobile Schulen, die in die Dörfer fahren, wo wir Gutes tun wollen. Bis heute haben eineinhalb Millionen Kinder an IT-Lektionen, die wir anbieten, teilgenommen. Es gibt verschiedene Stufen, von der Vermittlung von Anwender-Grundkenntnissen bis zur vertieften Programmiererausbildung. Wir entdecken und fördern Talente, die sich sonst wohl nicht hätten entwickeln können. Digital literacy, digitale Kompetenz, ist sicherlich eine der zielführendsten Voraussetzungen für ein Arbeitsleben in unserer Zeit. In jüngerer Vergangenheit haben wir unser Angebot noch verbreitert: Coder-Kenntnisse sind das eine, das andere sind unternehmerische Kompetenzen. Und auch diese vermitteln wir unseren Teilnehmern immer mehr. Denn wie heisst es doch so schön? «Gib einem Kind einen Fisch und es isst einen Tag lang. Bringe ihm das Fischen bei – und es isst ein Leben lang.» In unserem Beispiel kann man den Fischer durch den Unternehmer ersetzen.

Wir haben unsere Prozesse so gestaltet und verbessert, dass wir mit jedem gesammelten Franken, Euro oder Dollar, den wir ausgeben, mehr Kindern mehr Kenntnisse vermitteln können. Ich bin stolz auf das, was wir erreicht haben mit der Dariu-Stiftung. Demnächst plane ich, die Führung einem Nachfolger zu übertragen. Die Lösung ist aufgestellt, so sieht es aus. Was mir immer ein Herzensanliegen war. Weil ich der Meinung bin, wer bei der Bestellung seiner Nachfolge versagt, hat auf der ganzen Linie versagt.

Manchmal ist Frontalunterreicht das Richtige – Vi Than Elementary School, November 2022.

Bild: Alberto Venzago

Der grösste Deal der Geschichte

Für die Firma Ringier war das die von mir vorgeschlagene Übernahme von 49,9 Prozent der Scout24-Online-Marktplätze für 140 Millionen Franken. Aus damaliger Sicht ein stolzer Preis, heute darf dieser Einstieg ins Schweizer Digital-Netzwerk für Kleinanzeigen als günstig beschrieben werden. Das Unternehmen ist in der Zwischenzeit Teil der Swiss Marketplace Group (SMG) – darin sind etwa AutoScout 24, Homegate oder Ricardo enthalten –, eines der wertvollsten Schweizer Digitalunternehmen (SMG ist im Besitz von Ringier, TX Group, Mobiliar und Investor General Atlantic).

Zum Schluss noch ein (kleinerer) Deal, doch von strategischer Bedeutung ebenfalls: Der Kauf von Radio Energy für die Schweiz. Ringier, vor der Diversifizierung, hatte eine ähnliche Ausgangslage, ein Problem im Grund, wie die SRG – ein zwar zufriedenes Publikum, das aber immer älter wurde. Junge Kunden zu gewinnen, war kaum möglich. Die Schlussfolgerung: Ein Jugendmedium musste ins Portfolio. Weshalb wir das damalige Radio Z kauften und dieses, in Absprache mit den französischen Energy-Betreibern, in Zürich, später auch Basel und Bern ausrollten. Mit unserem Programm erreichten wir am meisten Hörerinnen und Hörer aller Privatradios der Schweiz, junge Hörerinnen und Hörer. Der Deal ging in Korsika über die Bühne, es war nicht der Einzige, Koriska sollte sich als fruchtbarer Boden beweisen.

2007

Ein Blick zurück, auf ein abenteuerliches Leben

Ich hatte das Privileg politische und gesellschaftliche Veränderungen in Osteuropa, Asien und Afrika mitzuerleben. Und es ist nicht vermessen zu sagen, dass Ringier in vielen Ländern als Pionierin einen wichtigen Beitrag zur Pressefreiheit geleistet hat. Damit einhergegangen sind zum Teil auch Liberalisierungen der persönlichen Freiheit der Menschen in diesen Ländern, einige Länder sind zu funktionierenden Demokratien geworden, andere leider nicht. Und die Pressefreiheit – ja die Pressefreiheit ist leider keine Selbstverständlichkeit geworden, sie steht, wieder einmal, unter wachsendem Druck.

Ich hatte zudem das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und war wohl auch der richtige Mann dafür. Ich hatte ein gesundes Selbstvertrauen, war aber auch ein Macher, eine Frontsau, hatte keine Angst vor nichts und niemandem. Dennoch wäre ich nie so weit gekommen, ohne einen Verleger und Auftraggeber wie Michael Ringier in meinem Rücken – er gab mir die Chance, all das zu realisieren. Und ermöglichte mir damit erst dieses geschäftliche und private Leben.

Ich war (und bin noch) immer ein optimistischer Mensch. In Sachen Umwelt allerdings kommen mir erstmals Zweifel. Ich hoffe, ich täusche ich mich wieder einmal.

Thomas tut Proust

Oder dieser homme de lettres beantwortet Fragen, denen sich der andere schon 1895 (oder 1896) stellte

Wo möchten Sie leben?

Bei mir zuhause in Korsika

Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?

Die Leichtigkeit des Seins

Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?

Die ersten

Was ist für sie das grösste Unglück?

Leiden

Ihre liebsten Romanhelden?

Sherlock Holmes, er löst alle Probleme

Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte?

Mahatma Gandhi

Ihre Lieblingsheldinnen/helden in der Wirklichkeit?

Alle Menschen, die sich uneigennützig für eine bessere Welt einsetzen

Ihr Lieblingsmaler?

Mein Herz schlägt für alle Künstlerinnen und Künstler, die trotz ihrer Talente ihr Leben lang unbekannt geblieben sind

Ihr Lieblingskomponist?

Keith Richards

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten?

Was wäre diese Welt ohne Frauen

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten?

(siehe oben)

Ihre Lieblingstugend?

Altruismus

Ihre Lieblingsbeschäftigung?

Fröhlich und zufrieden zu sein

Wer oder was hätten sie gerne sein mögen?

Der Hof-Astrologe des bhutanesischen Königs hat mir vorausgesagt, dass ich in meinem nächsten Leben als Kuh das Licht der Welt erblicke. Ich hoffe einfach, dass dies irgendwo in Indien und nicht in der Nähe eines Schlachthofes sein wird.

Ihr Hauptcharakterzug?

Tatkraft, Toleranz, Vertrauen – und ich habe mir meine kindliche
Neugierde bewahrt

Was schätzen Sie bei ihren Freunden am meisten?

Die Langlebigkeit

Ihr grösster Fehler?

Zu glauben, dass ich immer noch 50 sei

Ihr Traum vom Glück?

Harmonie

Was möchten Sie sein?

Gesund und munter und unabhängig

Ihre Lieblingsfarbe?

Rot und Gelb

Ihre Lieblingsblume?

Dracula simia

Ihr Lieblingsvogel?

Der Korsenkleiber, den gibt’s nur in Korsika zu bewundern

Ihr Lieblingsschriftsteller?

Kommt auf meine Tagesform an, im Moment James Joyce. Er har mir alles abverlangt, um Ulysses zu verstehen.

Ihr Lieblingslyriker?

Johann Wolfgang von Goethe. Ich musste in der Schule den „Erlkönig“ aufsagen – es war der reine Horror, aber ganze Textpassagen sind mir bis heute geblieben

Was verabscheuen Sie am meisten?

Gewalt

Welche geschichtlichen Gestalten verabscheuen sie am meisten?

Alle Kriegsverbrecher, die Liste ist leider sehr lang

Welche Reform bewundern Sie am meisten?

Der korsische Nationalheld Pasquale Paoli. Er befreite 1755 die Insel von den Genuesen und schrieb im gleichen Jahr die erste moderne demokratische Verfassung der Welt.

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?

Klavierspielen

Wie möchten Sie gerne sterben?

Im besten Moment

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?

Fragen Sie nicht meinen Psychiater, ich habe keinen

Ihr Motto?

Nichts ist faszinierender als die Realität

Was ist für Sie die wichtigste Erfindung der letzten hundert Jahre?

Das Internet

Glauben Sie, Gott ist eine Erfindung des Menschen?

Als Agnostiker muss ich passen

Wen möchten Sie gerne persönlich kennenlernen?

Geopolitik interessiert mich, deshalb Henry Kissinger

Welches Design bevorzugen Sie?

Flaminio Bertoni

Ihre Lieblingsmusik?

Blues & Rock

Ihr Lieblingstier?

Der Elefant, gemäss meinem Hof Astrologen aus Bhutan war ich das in meinem letzten Leben

Welchen Sport treiben Sie?

Velo, Tennis, Schwimmen, Karten spielen

Welches Auto möchten Sie gerne fahren?

Kein Interesse, betrachte ich heute nur noch als notwendiges Übel

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, was ist es bei Ihnen?

Dry Chilli Chicken, Szechuan Style und ein oder sogar zwei eiskalte Tsingtao Biere dazu

Welche drei Gegenstände nehmen Sie mit auf eine einsame Insel?

Internet-Anschluss, gut gefüllten Kühlschrank (gilt hoffentlich als ein einziger Gegenstand), Retour-Ticket